Samstag, 15. November 2003, 20:00 Uhr, Hofkirche Würzburg:

Totentanz



Hugo Distler:                    Totentanz

(1908 - 1942)                                Motette zum Totensonntag
für vierstimmigen Chor a capella

Leonhard Lechner:          Deutsche Sprüche von Leben und Tod

(um 1550 - 1606)                          für vierstimmigen Chor a capella

Vic Nees:                           Bonum est confiteri Domino

(geb. 1936)                                  für Tenor solo, gemischten Chor,
Harfe und Schlagzeug

Mitwirkende:

               Tenor:                           Tilman Lichdi

               Harfe:                           Nicole Müller

      Schlagzeug:                           Bernd Kremling

                Flöte:                           Monika Leicht

          Sprecher:                           Clemens Tangerding

                                                   Johannes Reichart
Monika Hofmann


Zu den Werken:


Hugo Distler, 1908 in Nürnberg geboren und 1942 in Berlin freiwillig aus dem Leben geschieden, kann in gewisser Weise als Anreger und Erneuerer auf dem Gebiet der Chormusik gelten. Sein sehr eigener Stil gründet auf einer Durchdringung historischer Gattungen mit modernem Geist und Empfinden, was sich vor allem in der eigenwilligen rhythmischen und klanglichen Faktur seiner Werke zeigt. Der 1934 entstandene „Totentanz“ enthält neben den 14 Spruchversen aus dem „Cherubinischen Wandersmann“ des Angelus Silesius, die Distler vertont hat, noch weitere, gesprochene Verse, die von Johannes Klöcking den teilweise verlorengegangenen niederdeutschen Strophen des Lübecker Totentanzes nachgebildet worden sind. Zur Musik schreibt Distler im Vorwort : „Was die Vertonung anlangt, so mag der Kundige unschwer in Textwahl, Anlage, Länge und Anzahl der Sätze, in Stimmlage, -umfang und -zahl, vielleicht darüber hinaus auch in der Wort- und Sinngestaltung das mächtige Vorbild der Leonhard Lechnerschen „Sprüche von Leben und Tod“ erkennen.“ Und weiter : „Als künstlerisches Gestaltprinzip ergab sich, ganz aus dem Wesen der gedrungenen Spruchdichtung heraus, größtmögliche Mannigfaltigkeit in der Erfindung unter bewusstem Verzicht auf ausgesprochene Durchführungsarbeit, daher die scharfen Kontraste, die präzise Formung des augenblicklichen Stimmungsgehaltes, die gedrängte, aphoristische Kürze. Nur wenige der kleinen Sätze begnügen sich mit der Durchführung nur eines beherrschenden Satzmotivs; besonders typisch für diese Art Gestaltung etwa ein Satz wie der fünfte Spruch, den ich "Frau Welte" zu überschreiben geneigt wäre nach der bekannten Statue an der St. Sebalduskirche zu Nürnberg - eine nackte Frauengestalt von blühender Schönheit : so scheint Frau Welt dem Beschauer entgegenzutreten; ihr Rücken aber ist von Schlangen und Würmern zerfressen, ein Bild der Vergänglichkeit. Wie anders wäre sonst darstellbar jener gespenstische Reigen, jene "Passacaglia" im wahrsten Sinne des Wortes, zu deren phantastisch bunten, unabsehbaren "Veränderungen" immer der gleiche "Ostinato" den Takt schlägt : "Heint frisch, wohlmechtig, gsund, schön und prächtig; morgen verdorben, tot und gestorben?“


Mit dem abschließenden Zitat des 4. Teils der "Deutschen Sprüche" stellt Distler noch einmal den direkten Bezug zu dem etwa 350 Jahre älteren Leonhard Lechner her. Lechner, aus dessen Leben genauer nur die späteren Stationen in Nürnberg und endlich als Hofkapellmeister in Stuttgart bekannt sind, wird leider noch immer viel zu wenig beachtet. Am Ende seines Lebens schrieb er diesen, wie Friedrich Blume meint, genialsten Totentanz, den die Musikgeschichte kennt. Der Text handelt zunächst eindringlich von der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, um dann den Blick auf "Gott den Herren" zu lenken, der allein "ewig Freuden" und Seligkeit schenken kann. Die technische Vollkommenheit und die expressive Kraft der Lechnerschen Musik ist nicht nur für seine Zeit ohne Beispiel. In 15 kurzen, streng motettisch gearbeiteten Teilen wird musikalisch ungemein plastisch und sinnfällig der oben beschriebene Weg aus der Gefährdung zu Geborgenheit nachgezeichnet. Der Reichtum an eindringlichen Motiven rhythmischer und melodischer Art scheint unbegrenzt, und jeder Teil bildet für sich genommen bei aller Kürze ein gültiges Ganzes.


Vic Nees wurde 1936 in Mechelen (Belgien) geboren. Er ist Programm- und Chorleiter beim Belgischen Rundfunk und zählt zu den namhaftesten Chorkomponisten mit internationaler Anerkennung. An seiner Vertonung des 92. Psalms fällt zuerst die ungewöhnliche Besetzung auf. Seine musikalische Frische und Lebendigkeit verdankt dieses Werk aber in erster Linie einer konsequenten Beschränkung der Mittel auf wenige rhythmische, melodische oder harmonische Grundmodelle, mit denen aber sehr sicher und effektvoll gearbeitet wird.

                                   R.D.



Texte:


Hugo Distler: Totentanz (Texte der 14 gesungenen Spruchverse):


  1. Laß alles, was du hast, auf daß du alles nehmst!

Verschmäh die Welt, daß du sie tausendfach bekömmst!

Im Himmel ist der Tag, im Abgrund ist die Nacht.

Hier ist die Dämmerung : wohl dem, der's recht betracht!


(Prolog Tod)


  1. Mensch, die Figur der Welt vergehet mit der Zeit.

Was trotz'st du dann so viel auf ihre Herrlichkeit?

 

(Dialog Kaiser - Tod)

 

  1. Wann du willst gradeswegs ins ew'ge Leben gehn,

So laß die Welt und dich zur linken Seite stehn!

 

(Dialog Bischof - Tod)

 

  1. O Sünder, wann du wohl bedächtst das kurze Nun.

Und dann die Ewigkeit : du würdst nichts Böses tun!

 

(Dialog Edelmann - Tod)

 

  1. Dein bester Freund, dein Leib, der ist dein ärgster Feind!

Er bind't und hält dich auf, wie gut er's immer meint.

 

(Dialog Arzt - Tod)

 

  1. Der Reiche dieser Welt, was hat er für Gewinn,

Daß er muß mit Verlust von seinem Reichtum ziehn?

 

(Dialog Kaufmann - Tod)

 

  1. Freund, streiten ist nicht g'nug, du mußt auch überwinden,

Wo du willst ew'ge Ruh und ew'gen Frieden finden!

 

(Dialog Landsknecht - Tod)

 

  1. Die Welt ist deine See, der Schiffmann Gottes Geist,

Das Schiff dein Leib, die Seel ist's, die nach Hause reist.

 

(Dialog Schiffer - Tod)


  1. Das überlichte Licht schaut man in diesem Leben

Nicht anders, als wenn man ins Dunkle sich begeben.

 

(Dialog Klausner - Tod)

 

  1. Freund, wer in jener Welt will lauter Rosen brechen,

Den müssen z'vor allhier die Dornen g'nugsam stechen.

 

(Dialog Bauer - Tod)

 

  1. Auf ,auf der Bräutgam kömmt : man geht nicht mit ihm ein,

Wo man des Augenblicks nicht kann bereitet sein.

 

(Dialog Jungfrau - Tod)

 

  1. Mensch, wenn dir auf der Welt zu lang wird Weil und Zeit,

So kehr dich nur zu Gott ins Nun der Ewigkeit!

 

(Dialog Greis - Tod)

 

 

  1. Die Seele, welche hier noch kleiner ist als klein,

Wird in dem Himmelreich der schönste Engel sein.

 

(Dialog Kind - Tod)

 

  1. Die Seele, weil sie ist geborn zur Ewigkeit,

Hat keine wahre Ruh in Dingen dieser Zeit.

Drum ist's verwunderlich, daß du die Welt so liebst

Und aufs Vergängliche dich allzusehr begibst.

 

 

Leonhard Lechner: Deutsche Sprüche von Leben und Tod

 

Der erste Teil
Alles auf Erden stets mit Gefährden

des Falls sich wendet hin und her ländet.                  (länden = (bildlich) lenken)

 

Der ander Teil

Auch Sonn, Mond, Sterne, Witt’rung bewähren

samt den Jahrszeiten Unbständigkeiten.

 

Der dritte Teil

Wir Menschen reisen gleich armen Waisen,

die sind mit Sorgen ung’wiß, wo morgen.

 

Der vierte Teil

Heint frisch, wohlmächtig, g’sund, schön und prächtig

morgen verdorben, tot und gestorben.

 

Der fünfte Teil

In Gottes Händen alls steht zu enden;

sein wir geduldig, erwarten schuldig.

 

Der sechste Teil

Gedenk mit nichten, dich b’ständig z’richten

in die Welt g’fährlich, drin nichts beharrlich.

 

Der siebte Teil

Wenn sich erschwinget das Glück, dir g’linget,

tu nit drauf bauen ihm z’viel vertrauen.

 

Der achte Teil

So überfallen dich Trübsals Qualen,

sei nit kleinmütig, murrend, ungütig.

 

Der neunte Teil

Was jetzt im Laufen, liegt bald zu Haufen,

das kann sich schicken, all Augenblicken.

 

Der zehnte Teil

Weil dann so unstet dies Schiff der Welt geht

so lasst uns denken wohin zu lenken.

 

Der elfte Teil

Wir wöllen kehren zu Gott, dem Herren,

uns nach seim G’fallen richten in allem.

 

Der zwölfte Teil

Ihn fürchten, lieben, sein Wort stets üben.

Er wird erbarmen sich unser Armen.

 

Der dreizehnte Teil

Sein Gnad und Güte wird uns behüten,

trösten, entbinden von unsern Sünden.

 

Der vierzehnte Teil

Sein Hand wird retten aus allen Nöten;

wir leben, sterben, jetzt nit verderben.

 

Der fünfzehnte Teil

Nach diesem Leiden, er ewig Freuden

uns schenkt ohnfehlig. Dann sind wir selig.

 

 

 

Vic Nees: Bonum est confiteri domino (Psalm 92)

 

2 bonum est confiteri Domino et psallere nomini tuo Altissime

3 ad adnuntiandum mane misericordiam tuam et veritatem tuam per noctem

4 in decacordo psalterio cum cantico in cithara

5 quia delectasti me Domine in factura tua;
   et in operibus manuum tuarum exultabo

6 quam magnificata sunt opera tua Domine
   nimis profundae factae sunt cogitationes tuae

7 vir insipiens non cognoscet et stultus non intelleget haec

(…)

13 ut palma florebit ut cedrus Libani multiplicabitur

14 plantati in domo Domini in atriis Dei nostri florebunt

   adhuc multiplicabuntur in senecta uberi et bene patientes erunt

16 ut adnuntient quoniam rectus Dominus Deus noster

   et non est iniquitas in eo.

 

 

2  Das ist ein köstlich Ding, dem HERRN danken

   und lobsingen deinem Namen, du Höchster,

3 des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen

4 auf dem Psalter mit zehn Saiten, mit Spielen auf der Harfe.

5 Denn, HERR, du lässest mich fröhlich singen von deinen Werken,

  und ich rühme die Taten deiner Hände.

6 HERR, wie sind deine Werke so groß! Deine Gedanken sind sehr tief.

7  Ein Törichter glaubt das nicht, und ein Narr begreift es nicht.

   (...)

13 Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum,

   er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon.

14 Die gepflanzt sind im Hause des HERRN,

   werden in den Vorhöfen unsres Gottes grünen.

15 Und wenn sie auch alt werden,

   werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein,

16 daß sie verkündigen, wie der HERR es recht macht; er ist mein Fels,

   und kein Unrecht ist an ihm.